Fachschaft evangelische Theologie
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03Adventsgeschichte

von Martin Arneth

 

 

Liebe Brüder*Innen!
Wir haben es geschafft: die Reformationsdekade ist vorbei und wir können uns der Frage zuwenden, ob es auch noch sinnvolles Leben jenseits und diesseits des 31.10.1517 gab. Die Adventszeit ist ja wie gemacht für solche Grübeleien. Lebenssinn läßt sich zwar bereits mit Lebkuchen und Glühwein generieren, wer aber bei der Sinnbewirtschaftung der eigenen Lebensvollzüge partout nicht auf den Großhirngebrauch verzichten will, nimmt halt noch zusätzlich ein Büchlein zur Hand.

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„Diesmal liest du in der Vorweihnachtszeit was von vor Luther“ sagte ich mir und griff zur Renaissanceliteratur, um mich vom Licht dieses südländischen Neuaufbruchs zurück zu den (altsprachlichen) Quellen verzaubern zu lassen. Es gibt ja genug Italienfreund*Innen, die hier den wahren Ursprung der Neuzeit vermuten. Also: אֹ֑ור יְהִ֣י – Γενηθήτω φῶς – fiat lux – es werde Licht! Und so erfreute ich mich an den neuartigen Novellen und tiefgründelnden Traktaten, las Petrarca, Boccaccio, Ficino und Pico della Mirandola … bis ich dann selbstaufklärungsheischend auf Giannozzo Manettis Schriftchen „Über die Würde und Erhabenheit des Menschen“ (1452) stieß. Doch da stockte meine Lektürelust jäh, weil ich gleich im 1. Buch über mich lesen mußte: „Gott hat offenbar allein den Menschen gleichsam mit der Brust nach oben geschaffen (denn kaum ein anderes Lebewesen kann auf dem Rücken liegen), die stummen Tiere aber hat er anscheinend als vernunftlose Wesen auf einer Seite liegen lassen und zur Erde niedergedrückt …“ – Zitat Ende. „Was für ein unglaublicher Unsinn!“ schoß es mir durch den Kopf und mein Blick schwenkte hinüber zum Kater Mommsen, unserem trägen Katzenvieh aus der Familie der schottischen Faltohren, das mich 341 Tage p.a. strapaziert, mir aber regelmäßig in den ersten 24 Tagen des Kirchenjahres zu weitreichenden Einsichten verhilft. Sie kennen das ja schon aus der letzten Saison – und so war es auch heuer. Denn der Kater Mommsen lag mal wieder da, wie Gott ihn erschaffen hatte: auf dem Rücken (!) mit der Brust nach oben (!), ehrfürchtig erfüllt vom gestirnten Himmel und vom moralischen Gesetz (s. Photo). Dieser Anblick hat mein noch recht zartes, gleichsam jungfräuliches Renaissancebild ruckizucki ziemlich verdüstert. Der Renaissancemensch ist in Wahrheit ein Kater! Wenn schon bei der Anthropologie dermaßen der Wurm drin ist, kann’s mit den Gedichten, Bildern und Bauten auch nicht weit her sein. Und damit war mein Ausflug in die vorprotestantischen Zeiten beendet. Eigentlich war ich an der Misere ja selber schuld. Heißt es nicht ausdrücklich: „Ex oriente lux“ – „Das Licht kommt aus dem Osten“, ganz einerlei, ob aus Bethlehem oder Wittenberg? Vom Süden ist in dieser alten Bauernregel nicht die Rede.

Beim zweiten Adventslektüreanlauf gehe ich auf Nummer sicher. Denn wenn es eine Wissenschaft gibt, die für das „Licht vom Osten“ zuständig ist, dann ist es selbstverständlich die Wissenschaft vom Alten Testament. Und zu den unüberholten Spitzenprodukten besagter Wissenschaft gehören bekanntlich die Werke des Titanen Julius Wellhausen. Also schnappe ich mir seinen 2013 erstmals edierten Briefwechsel und stoße bereits auf Seite 310 auf die ungeschminkte Wahrheit. Da bekennt Professor Wellhausen am 14.9.1893: „Ich bin gestern mit Mommsen gelaufen … wenn ich den vierten Teil seiner Frische und Lebenskraft hätte, wollte ich Berge versetzen. Er hat gar kein Fleisch, nur Geist.“ Wau! (bzw. Miau!) – diese schonungslose Offenheit gegenüber dem unhintergehbar Übermenschlichen, diese tiefe, hingebungsvolle Demut vor dem erhabenen, ganzkörperbehaarten Geistwesen Kater Mommsen zeigt wahre Größe und verschlägt mir schier den Atem. Mir ist, als würden Himmel und Erde still sich küssen, als würden sich Weihnachten, Oktoberfest und Hebraicum in einem Herzschlag ereignen, als würde der Mandelzweig … Moment, ähem … jetzt lese ich gerade in den Anmerkungen, daß bei Wellhausen gar nicht vom Kater, sondern von dem alten Zausel Theodor Mommsen (hängt im Lenbachhaus) die Rede sein soll. Unfaßbar! – das muß ein Herausgeberfehler sein! Welch würdelose, unverantwortliche Schlamperei! Ich gehe dem sofort nach und halte Sie auf dem Laufenden. Bis dahin: fiat lux – eine wahrhaft erbauliche Adventszeit, lesen Sie was Schönes!

 

 

Prof. Martin Arneth ist Hebräischlektor und Leiter der Geschäftstelle.

Bildnachweis: Foto: Martin Arneth.