Fachschaft evangelische Theologie
print

Links und Funktionen

Navigationspfad


Inhaltsbereich

16. Dezember (3. Advent)

Adventskalender_16O Heiland, reiß die Himmel auf

von Prof. Dr. Kathrin Liess

 

 

Am heutigen dritten Adventssonntag erklingt es wieder in der einen oder anderen Kirche, das Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7), 1622 veröffentlicht und Friedrich Spee (1591–1635) zugeschrieben. In den ersten drei Strophen werden Bilder entworfen, die von einer beeindruckenden Sprachkraft zeugen:

O Heiland, reiß die Himmel auf, 

herab, herab vom Himmel lauf;

reiß ab vom Himmel Tor und Tür,

reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

O Gott, ein' Tau vom Himmel gieß,

im Tau herab, o Heiland, fließ.

Ihr Wolken, brecht und regnet aus

den König über Jakobs Haus.

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,

dass Berg und Tal grün alles werd.

O Erd, herfür dies Blümlein bring,

o Heiland, aus der Erden spring.

Ein offener Himmel, fließender Tau, grünende Erde – das sind schöne, uns vertraute Naturbilder und gleichzeitig erscheinen sie in einer neuartigen Weise: „o Heiland, herab vom Himmel lauf“, „im Tau herab, o Heiland, fließ“, „ihr Wolken, regnet aus den König“, „o Heiland, aus der Erden spring“. Was für eine Beschreibung der Ankunft des Heilands und Königs Jesus Christus! Das Adventslied hat eine lange Vorgeschichte, die – und nun kommt die Alttestamentlerin zu Wort – im Alten Testament beginnt, und zwar unter anderem im Buch Deuterojesaja, in Jes 45,8:

Träufelt, ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit!
Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf!
Ich, der Herr, erschaffe es. (Lutherübersetzung)

Adventskalender 16.12.2018

Wie kaum ein anderes alttestamentliches Prophetenbuch verwendet das Buch Deuterojesaja Naturbilder, um das kommende Heil zu schildern. So auch in Jes 45,8, einem Vers, der Gottes Schöpfermacht beschreibt und dabei mit Naturmotivik ein Bild entwirft, das anschaulich, und – in einem Land, wo es seltener regnet als bei uns – besonders eindrücklich ist: Vom Himmel oben aus den Wolken regnet es, so dass es aus der Erde sprießen und wachsen kann. Entscheidend ist, was wächst: Heil und Gerechtigkeit. In großer Dichte stehen an dieser Stelle im Hebräischen drei zentrale heilstheologische Begriffe des Alten Testaments, die das Heil im umfassenden Sinne beschreiben. So spricht Deuterojesaja mit diesem Gotteswort dem Volk Israel in einer Zeit der Not Heil und Trost zu.
Wie führt nun der Weg von Deuterojesaja zu dem Adventslied des 17. Jahrhunderts? Die Vulgata hat – um in der Bildsprache des Buches Deuterojesaja zu bleiben – diesen „Weg bereitet“, denn sie liest: rorate coeli desuper nubes pluant iustum, aperiatur terra et germinet salvatorem „Träufelt, ihr Himmel, von oben, die Wolken mögen regnen den Gerechten; es öffne sich die Erde, und sie lasse den Heiland sprießen.“ Das Heil ist – aus christlicher Perspektive – der Heiland.
Ein Adventslied aus der Barockzeit wäre kein Lied dieser Zeit, wenn der Blick vom Himmel nicht auch auf das irdische „Jammertal“ fiele:

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,

darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

O komm, ach komm vom höchsten Saal,

komm, tröst uns hier im Jammertal.



O klare Sonn, du schöner Stern,

dich wollten wir anschauen gern;

o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein

in Finsternis wir alle sein.



Hier leiden wir die größte Not,

vor Augen steht der ewig Tod.

Ach komm, führ uns mit starker Hand

vom Elend zu dem Vaterland.

Die Naturbilder werden in diesen Strophen abgelöst von Worten existentieller Not, von „Jammertal“, „Finsternis“, „größter Not“, „ewig Tod“ und „Elend“. Doch bleibt in dieser Lage das, wovon auch Deuterojesaja schon zu Beginn seines Buches spricht (Jes 40,1), die Hoffnung auf den „Trost“. Den dunklen Worten dieser drei Strophen steht die Sehnsucht nach dem Licht gegenüber, auf dreifache Weise beschrieben als Sonne, als Schein und als „schöner Stern“. Mögen Sie mit dieser Hoffnung heute auf den Schein der drei Adventskerzen blicken!

 

Prof. Dr. Kathrin Liess ist Vertreterin des Lehrstuhls Altes Testament I an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU

Bildnachweis: Foto: Prof. Dr. Kathrin Liess